Am 23. Mai 1933 hielt der Pädagoge und Hochschullehrer Ernst Krieck (1882-1947) seine Einstandsrede als Rektor der Goethe-Universität im Frankfurter Opernhaus. Nach der Machtergreifung durch das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 signalisierte der bezeichnende Titel seiner Rede „Die Erneuerung der Universität“ die Richtung, die der bekennende Nationalsozialist mit der Universität einschlagen wollte.
Seine Rede war eine der ersten Antrittsreden eines Rektors mit nationalsozialistischer Gesinnung und gibt in der frühen Phase nach der Machtergreifung einen Einblick in die Pläne für das universitäre Leben der Stadt Frankfurt. Neben dem niedergeschriebenen Skript liegt auch eine Tonaufnahme der Rede vor. Sprachlich und stilistisch erkennt man auf den ersten Blick viele Parallelen zu Reden bekannter, nationalsozialistischer Parteimitglieder, doch bei genauerer Betrachtung erweist sich die Rede weniger rund, als zunächst gedacht. Dies liegt vor allem an den Rollen, die Krieck als Rektor einer deutschen Universität, als Nationalsozialist und Privatperson mit eigenem pädagogischen Weltbild versucht, in Einklang zu bringen.
Eine Begrüßungsformel im nationalsozialistischen Stil par excellence, bei der ein Mann „der handarbeitenden Volksschicht“ ein „Bindeglied zwischen Universität und Arbeiterschaft“ sein möchte, bildet die Einleitung seiner Rede. Dass nicht alle Volksschichten vertreten seien, müsse man auf den Platzmangel zurückführen. Krieck stellt sich inmitten des Volkes als Gleichgesinnter dar und verfolgt damit eine typisch nationalsozialistische Vorgehensweise. Er lobt das erst kürzlich erlassene Studentenrecht für die deutschen Universitäten und die damit einhergehende Selbstverwaltung und Gleichberechtigung der Studierenden, um sich „der Erneuerung des gesamten völkisch-politischen Gemeinwesens in seinen Ordnungen“ anzuschließen und gleichzeitig an die mittelalterliche Ursprungsidee der Universität anzuknüpfen. Die Studentenschaft sei eine „geistige SA“, die die „Wissenschaft zur Wehr und Waffe“ führe, sich in Bünden organsiere und damit durch die „Volkstumsarbeit“ die „Wiedergeburt des deutschen Wesens“ verkörpere.
In einem zweiten Schritt formuliert er die Probleme der heutigen Universität vor dem Hintergrund ihrer konkreten Rolle in der Gesellschaft. Er beginnt dies mit einem weiteren Exkurs über die Gründungsintention der Universitäten und erkennt diesen Antrieb als nicht mehr gegeben. Es fehle an Zielen und Ideen, zugleich herrsche eine „falsche Autonomie und Autarkie“ vor und eine Fülle an Einzelfächern ohne übergreifenden Sinn präge die universitäre Landschaft. Nun sei das Ziel, die „völkisch-politische Universität anstelle der humanistischen Universität“ zu erreichen und dafür die „Erneuerung der Universität“ einzuleiten. Als entscheidenden Faktor nennt Krieck das Wachstum. Er vergleicht die Universität mit einer Domkuppel, die sich über die Einzeldisziplinen spanne und so eine Verflechtung und Bindung erschaffe, was sich in einem gemeinsamen Weltbild und einer gleichen Ausrichtung niederschlage. Ebenso sei ein Wandel in der Wissenschaft von Nöten, nämlich die Schaffung einer „gestaltenden und aufbauenden, soldatischen und militanten Wissenschaft“ und damit verbunden auch die Einrichtung neuer Einzelfächer. Die Universität als Glied des Staates erfordere eine „kämpferische Wissenschaft“: „Freiheit will nicht geschenkt, sie will erkämpft sein“. Durch die „Öffnung der Fakultäten“ und die „Formalschulung“ der Studierenden mithilfe von Erziehungsarbeit und wissenschaftlicher Förderung könne dies erreicht werden.
Krieck schließt seine Rede mit einem pathetischen Aufruf, die „Erneuerung der Universität“ auf eine höhere Ebene zu heben und dadurch in Frankfurt eine „Hochburg des deutschen Geistes zu schaffen“ und „einer neuen Kultur entgegenzuschreiten“. Ausschüsse sollen sich mit der dargelegten Erneuerung befassen und die Universität als Vorreiter in der politischen Revolution so ihren Teil beitragen.
Betrachtet man die gesamte Rede, entwickelt diese zunehmend einen wirren und unstrukturierten Aufbau. Mangels eines roten Fadens tragen auch die mittelalterlichen Exkurse der Universitäten nicht zu einem besseren Verständnis bei. Dies bemerkt man vor allem an der Tonaufnahme der Rede, bei der mit fortschreitender Zeit das Interesse der Zuhörer schwindet – als Indiz dafür seien ausbleibender Applaus und die generelle Unruhe im Saal zu nennen. Auch die rhetorischen Fähigkeiten Kriecks, der mit vielen Pausen und untypischen Wortbetonungen spricht, erschweren das Zuhören. Zusätzlich weicht die Niederschrift der Rede am Ende stark von dem Gesprochenen ab. Beispielsweise fehlt ein ganzer Absatz seines Gedankenentwurfs über die Universität, was die zunehmende Improvisation in Reaktion auf die nachlassende Aufmerksamkeit unter den Studierenden zeigt. Krieck kündigt an, vier neue Fächer zu etablieren, die „Wehrwissenschaft“, „Rassenkunde“, „Rassenseelenkunde“ und die „Wissenschaft vom Volk“.
Ab 1933/34 lassen sich „Wirtschaftsgeschichte“, ab 1935 die „Rassenhygiene“, ab 1936 die „wirtschaftliche Raumforschung“ und ab 1937 die „Handwerkswirtschaft“ als neue Fächer in den Vorlesungsverzeichnissen finden. Krieck bezeichnet seine Erneuerung als Wandel einer „humanistischen Universität“ zu einer „völkisch-politischen“, doch versucht weiterhin die Freiheit und Selbstbestimmung der Universität zu verteidigen, ganz im Stil des mittelalterlichen Gründungsgedankens.
Was ist letztendlich über die Rede im Mai 1933 festzuhalten? Es fällt Krieck offensichtlich schwer als Nationalsozialist vor einer Universität zu sprechen und gleichzeitig die Idee der Universität zu wahren, klare Stellung zu beziehen und das Publikum zu integrieren. Er versucht einerseits die Ideologie der Nationalsozialisten und deren einsetzende Gleichschaltung zu thematisieren, baut aber andererseits als Rektor einer Universität auf deren Charakter der Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Zuletzt ist Krieck als Pädagoge von eigenen, ideologischen Vorstellungen geprägt, die er als Privatmann in einer solchen Rede mitverarbeitet.
Da er seine Zuhörer nicht erreichen kann, versucht er mit „patriotischen Floskeln“ und militärischen Bezügen die Aufmerksamkeit zurückzugewinnen, weicht schließlich ganz von seinem Skript ab. Seine Rhetorik scheitert, seine Zuhörer bleiben am Ende der Rede mit Unverständnis zurück.