Mit ihrer Eröffnung im Oktober 1914 übernahm die Frankfurter Stiftungsuniversität auch die Studierenden der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften. Die neue Hochschule bestand aus fünf Fakultäten: der Rechtswissenschaftlichen, der Medizinischen und der Philosophischen, der Naturwissenschaftlichen sowie der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät.
Die Datenbank der Studierenden dieser Fakultäten von Oktober 1914 bis Mai 1919 umfasst insgesamt 4947 Personen, 87% von ihnen sind männlich. Die meisten Frauen studierten an der Philosophischen Fakultät. Das Durchschnittsalter bei der Einschreibung lag unabhängig von Geschlecht bei 22 Jahren. Aus Preußen stammten rund 62% der Studierenden, aus dem Großherzogtum Hessen kamen 17%. 6% der Immatrikulierten waren „Reichsausländer“. Als „Ausländer“ bezeichnete die Reichsregierung ab 1871 Staatsangehörige nichtdeutscher Staaten, während der Begriff „Reichausländer“ mit dem 1913 verabschiedeten Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz in Gebrauch kam.[1]
Die Matrikel Nummer 1 erhielt der Medizinstudent Paul Roediger am 16. Oktober 1914. Roediger wurde am 5. Juni 1891 in Frankfurt geboren und war Sohn eines Arztes und Mitgründers der Universität. Er hatte bereits fünf Semester Medizin an der Universität Heidelberg studiert. Nun zog es ihn nach Frankfurt zurück, wo er bei seinen Eltern in der Ulmenstraße 27 im Westend wohnte. Unter anderem belegte er Kurse bei dem Pharmakologen Alexander Ellinger und dem Chirurgen Ludwig Rehn. Ende Mai 1916 erhielt er sein erstes Abgangszeugnis und immatrikulierte sich zum 1. Juni 1917 erneut für sechs Wochen.[2] Dass Paul Roediger in die Fußstapfen seines Vaters treten sollte, stellt keinen Einzelfall dar. Die Annahme, dass vor allem Söhne den Berufen ihrer Väter folgten, bestätigt sich anhand unserer statistischen Auswertungen.
Zur Aufnahme des Lehrbetriebs im Wintersemester 1914/15 immatrikulierten sich über 600 Studierende. Das Sommersemester 1917 verzeichnet einen drastischen Einbruch an Immatrikulationen, der in der niedrigsten Zahl (ca. 250) an Neuimmatrikulationen im Wintersemester 1917/18 mündet. Als Grund für den Rückgang der Einschreibungen ab dem Sommersemester 1917 bis zum Beginn des Jahres 1918 kann die erneute Rekrutierung von Hilfsdienstleistenden im Jahr 1917 angesehen werden. Eine amtliche Bekanntmachung des Rektors vom 15. Oktober 1917, veröffentlicht in der Frankfurter Universitäts-Zeitung vom 3. Dezember desselben Jahres, unterstützt diese Annahme:
„Im Januar dieses Jahres wurden auf Veranlassung des Herrn Ministers die Bürger und Bürgerinnen der Hochschulen, die noch nicht im Dienst des Vaterlandes tätig sind, aufgefordert, sich zum vaterländischen Hilfsdienst zu melden. […] Nach wie vor bedarf unser Vaterland in den zahllosen Betrieben der Heimat und des besetzten Gebietes der Hilfe aller abkömmlichen und arbeitsfähigen Kräfte. Darum ergeht von neuem der Ruf, sich zum Hilfsdienst zu melden.“[3]
Das „Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst“ war bereits am 5. Dezember 1916 erlassen worden und trat am Folgetag in Kraft. Die verheerenden Schlachten an der Somme und bei Verdun zwangen die Oberste Heeresleitung zu Aufrüstungsmaßnahmen. Das Hindenburg-Programm sollte vor allem die Waffenproduktion und die Rekrutenzahl in die Höhe treiben, um eine Steigerung der Kriegsfähigkeit herbeizuführen. Zuvor Ausgemusterte und weibliche Hilfskräfte setzte die Reichsregierung für die Versorgung der Armee an der Front und der Zivilbevölkerung ein.[4] Da dieses Gesetz nicht nur für Studenten galt, sind auch Nichtimmatrikulierte und somit potentielle Studierende der Aufforderung gefolgt. Der Kriegsverlauf kann somit als Anlass für den Einbruch der Einschreibungen erachtet werden. Von den zwischen 1914 und 1919 insgesamt 4947 Studierenden nahmen 1291 am Ersten Weltkrieg teil, etwa 200 von ihnen fielen.
[1] Vgl.: Krüger-Potratz, Marianne: Mehrsprachigkeit als Konfliktfeld der Schulgeschichte. In: Sara Fürstenau und Mechthild Gomolla (Hg.): Migration und schulischer Wandel: Mehrsprachigkeit. Wiesbaden 2011, S. 54.
[2] Vgl.: Universitätsarchiv Frankfurt, UAF Abt. 604, Nr. 54, Bll. 1ff.
[3] Frankfurter Universitäts-Zeitung. Mit amtlichen Mitteilungen der Universität. 20. Heft, 03.12.1917. Frankfurt am Main 1917, S. 205.
[4] Vgl.: RGBl Jg. 1916 Nr. 276, S. 1333.
Über das Projekt:
Anhand unterschiedlicher Archivalien und Quellen aus dem Uniarchiv entstand eine mittlerweile abgeschlossene und auswertbare/ausgewertete Datenbank mit Informationen über Studierende aus den fünf Fakultäten der im Wintersemester 1914/15 offiziell eröffneten Frankfurter Universität. Aus der Rechtswissenschaftlichen, der Medizinischen und der Philosophischen, der Naturwissenschaftlichen sowie der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät entwickelten wir bis zum Zwischensemester 1919, welches wegen der hohen Anzahl an Kriegsrückkehrern notwendig wurde, eine Sammlung, die spannende und gleichermaßen aufschlussreiche Hinweise lieferte. In Form verschiedener Statistiken werteten wir diese aus. Es gelang uns so, verwertbare Angaben über die Anzahl der Studierenden, die Geschlechterverhältnisse, die Studiendauer sowie Religionszugehörigkeiten und soziale Herkunft zu treffen. Ebenso bietet unsere Auswertung Einblick in gesellschaftliche Hintergründe der Studierenden und befasst sich mit Gefallenen und Teilnehmern des Ersten Weltkriegs. Mithilfe anderer Datenbanken wie z. Bsp. Yad Vashem ermittelten wir unter den damaligen Zugehörigen der Frankfurter Universität auch spätere Holocaustopfer.