Für ihre Tochter Eleonore war sie viel klüger als der Stiefvater:[1] In Frankfurt am Main soll die 29jährige Luise Schuster ihr Studium fortgesetzt haben, und zwar ab dem November 1922.[2] Sie wurde bekannt als First Lady des Bundeskanzlers Ludwig Erhard.
Luise Lotter war 1893 geboren worden, hatte das Abitur abgelegt und 1914 Dr. Schuster geheiratet. 1915 wurde sie zur Kriegerwitwe und erzog Eleonore zusammen mit der Großmutter – ebenso eine Witwe -, welche zudem eine Ziegelei leitete.[3]
Die Familien Lotter und Erhard kannten sich aus Fürth; es kann spekuliert werden, dass sie 1919 für die Aufnahme ihres Studiums der Volkswirtschaft im benachbarten Nürnberg ihn gebeten hatte, als männlicher Begleiter mit ihr zur Immatrikulation zu kommen, denn es begannen nur 6 Studentinnen bei 174 männlichen Kommilitonen.[4] Dies mag für den 1897 geborenen Ludwig Erhard der Anstoß zu seinem eigenen Studium gewesen sein.
Luise und Ludwig Erhard hatten am selben Tag ihr Studium in Nürnberg an der neu gegründeten Handelshochschule begonnen,[5] es nach fünf Semestern gemeinsam als Volkswirte abgeschlossen und dann zusammen ein Semester in Erlangen studiert. Er begann am 4. November 1922 sein Studium in Frankfurt, wo er im Dezember 1925 promoviert wurde.[6]
Für die Behauptungen, Luise Schuster habe in Frankfurt am Main studiert, lässt sich im Universitätsarchiv aber kein Nachweis finden. Es scheint, dass die Fama aus der Familie stammt: Hatte Luise Schuster, geb. Lotter, nach Frankfurt gehen wollen, dies jedoch nicht verwirklichen dürfen, und dem ihr Leben lang nachgetrauert? Sie hatte das Abitur abgelegt, während Erhard nur über einen Realschulabschluss verfügte. Es ist davon auszugehen, dass Luise Erhard modern eingestellt war: Es spricht manches dafür, dass der bekannteste Bungalow Deutschlands, der „Kanzlerbungalow“ in Bonn, ihrem Geschmack entstammte.[7]
Aufgrund des gemeinsamen Studienwegs der beiden in Nürnberg und Erlangen ist es nachvollziehbar, wenn sie kurz mit ihm nach Frankfurt gegangen wäre, um dann wegen aufkommender Gerüchte einer illegitimen Beziehung das Studium in Frankfurt abzubrechen.[8] Von daher wären jedoch auch Besuche bei ihm in Frankfurt vor ihrer Hochzeit Ende 1923 eher unwahrscheinlich.
Der Dank des Autors geht an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Universitätsarchivs Frankfurt unter Leitung von PD Dr. Michael Maaser, die trotz vielfältiger Suchschritte keinen Beleg für eine Immatrikulation von Luise Erhard ermitteln konnten.
Gunter Stemmler ist an der Goethe-Universität promoviert worden; der Historiker hat unter anderem veröffentlicht: Die Vermessung der Ehre. Zur Geschichte der Ehrenbürger, Ehrensenatoren sowie Ehrenmitglieder an deutschen Hochschulen und an der Universität Frankfurt, Frankfurt am Main [u.a.] 2012.
[1] Erhards Stieftochter Eleonore: „´Meine Mutter … hat das so nebenbei gelernt und trotzdem das bessere Examen gemacht.´“ Und: „Ja, Luise ist offenbar der dominierende Partner in dieser Verbindung.“ Zitate siehe Brandes, Ada, Luise Erhard, in: Zimmer, Dieter, Hg., Deutschlands First Ladies. Die Frauen der Bundespräsidenten und Bundeskanzler von 1949 bis heute, Stuttgart 1998, S. 81-98, hier S. 87f. Anscheinend bestanden Spannungen zwischen Eleonore und ihrem Stiefvater: „´Zum Glück bekam ich eine Halbwaisenrente. Ludwig Erhard hat mich ja nie adoptiert – wahrscheinlich aus diesem Grund.´“ Ebenda, S. 87.
[2] Ludwig Erhard ging „an die Universität Frankfurt. Auch Luise Erhard ging mit, um ebenfalls weiterzustudieren“, Mümmler, Manfred, Ludwig Erhard, eine biographische Skizze, Emskirchen 1996, S. 20, und: „Das junge Ehepaar geht nach Frankfurt am Main“, Brandes, Erhard, S. 87. Elisabeth Leutheusser-von Quistorp, Hausdame im Kanzlerbungalow, erklärte fernmündlich auf die Frage des Autors am 20.08.2021, dass Luise Erhard in Frankfurt studiert, das Studium jedoch abgebrochen habe.
[3] Marie Luise Lotter * 18.04.1893 in Langenzenn / Abitur / Heirat mit Dr. Schuster 1914 / Witwe / Eleonore 1915 / Volkswirtin 1922 / Heirat mit Ludwig Erhard Ende 1923 / Elisabeth 1926 / † 09. 07.1975 in Kreuth.
[4] Siehe https://www.wiso.rw.fau.de/fachbereich/fachbereichsprofil/historie/ aufgerufen am 19.04 2022.
[5] Die Einschreibung ist vom 20.10.1919, siehe Matrikelbuch, UAE D2/1 Nr. 3, mit Dank an den Leiter, Dr. Clemens Wachter.
[6] Siehe UAF, Abt. 604, Nr. 68 K; Abt. 156, Nr. 1207; Abt. 150, Nr. 318, Bl. 2.
[7] Sie wird verantwortlich gewesen sein für den Bungalow am Tegernsee, wo das Ehepaar einen Wohnsitz hatte, denn sie war Eigentümerin des Grundstücks und die Bauherrin, siehe Bayerischer Landtag, Stenographischer Bericht, 34. Sitzung, 09.08.1951, S. 22 – digital; Meissner, Irene, Sep Ruf 1908|1982, Berlin 2013, S. 159 – Anm. 48.
[8] Dazu – mit Dank an – Heidi Stinzendörfer M.A, Archivarin, Stadt Langenzenn, per Mail vom 28.06.2021: „Luise Schuster ist zusammen mit ihrer Mutter … und ihrer Tochter …1917 von Fürth nach Langenzenn … gezogen. … Am 1.11.1919 zieht Luise Schuster aus Langenzenn weg. Ihre Tochter scheint bei der Großmutter in Langenzenn geblieben zu sein. Wann Luise Schuster um 1922/1923 wieder zurück … nach Langenzenn gekommen ist, lässt sich leider nicht feststellen. Es findet sich aber ein Eintrag, dass Luise Erhard, Kaufmannsehefrau zusammen mit ihrer Tochter Eleonore Schuster am 28.4.1924 von Langenzenn nach Nürnberg verzogen sind.“
Artikelbild: Ausschnitt aus Bild von Magnussen, Friedrich (1914-1987) – Stadtarchiv Kiel, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=69553323