Leopold Levis wurde am 4. August 1884 in Karlsruhe geboren. Sein Vater Albert Levis (1841–1923), gleichermaßen gebürtiger Karlsruher, besaß eine Bank mitten in der Innenstadt, keine 500 Meter Luftlinie vom Schloss entfernt. Seine Mutter, Mathilde geborene Mainzer (1856–1915), stammte aus Lorsch.[1]
Leopold war das jüngste von drei Kindern, seine Schwester Henriette Bertha war zwei Jahre älter (1879–1954)[2], von seinem Bruder Arthur Aron (1877–1968)[3] trennten ihn sieben Jahre. Er besuchte das Realgymnasium der Stadt Karlsruhe, anschließend absolvierte er eine kaufmännische Lehre. Nach einiger Zeit im Bankenwesen in Karlsruhe übernahm Leopold Levis eine Anstellung in einer Exportfirma in Singapur.[4] Singapur gehörte damals zum British Empire. Die Stadt lag an einem wichtigen Abschnitt eines internationalen Seeweges: der Straße von Malakka. Durch diese Meerenge zwischen dem heutigen Malaysia und Indonesien führte die sog. Gewürzroute hindurch. Sie verdankte ihren Namen den Gütern, die von den Molukken, einer Inselgruppe zwischen Sulawesi und Neuguinea, nach Europa und Nordamerika exportiert wurden: vor allem Zimt, Muskat, Pfeffer und Gewürznelken.
Leopold Levis schien Gefallen an seiner Arbeit gehabt zu haben, er blieb mit kurzen Unterbrechungen sieben Jahre in Südostasien. Dann brach der Erste Weltkrieg in Europa aus und Levis kehrte zurück ins Deutsche Kaiserreich. Er meldete sich freiwillig zum Dienst bei der Feldartillerie, im Herbst 1914 begann er seinen militärischen Dienst. Details über seine Erfahrungen zwischen 1914 und 1918 sind bisher nicht bekannt. Nach eigenen Angaben kämpfte er an den Fronten von Flandern, Russland und Frankreich. Er wurde zum Leutnant der Reserve befördert, mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet, bekam das Ritterkreuz vom Zähringer Löwen mit Schwertern sowie das Ehrenkreuz für Frontkämpfer verliehen.[5]
Inmitten dieser schweren Zeit war die Hochzeit von Leopold Levis ein positives Ereignis. Am 19. April 1917 heirate er in Karlsruhe Irene Becker (1895–1976).[6] Seine elf Jahre jüngere Ehefrau war zu dem Zeitpunkt Studentin der Chemie.[7] Mit ihr ging er nach dem Ende des Ersten Weltkrieges nach Berlin, wo er seinen kaufmännischen Beruf aufnahm.[8] In der Hauptstadt der Weimarer Republik kamen seine drei Kinder zur Welt: Eva Mathilde (1920), Agathe (1924) und Kurt Albert (1926). Kurz nach der Geburt seines jüngsten Kindes verzog die Familie nach Frankfurt. Die genauen Gründe sind nicht bekannt, möglicherweise waren es verwandtschaftliche Beziehungen, die Leopold Levis an den Main verschlugen. Hier wohnte mindestens ein Onkel von ihm, der Wechselsensal Emil Levis (1840–1915) und dessen Frau Nanny (1858–1943).[9] Auch die Familie seiner Ehefrau Irene Levis lebte in Frankfurt. Ihre Mutter, Franziska Becker geb. Hess (1874–1942), war eine erfolgreiche Dramaturgin und Autorin und Ensemblemitglied des Neuen Theaters in Frankfurt.[10] Irene Hess‘ Großvater Adolph Hess (1847–1912) war Inhaber einer gleichnamigen Münzhandlung.[11]
Leopold Levis wohnte mit seiner Familie im Frankfurter Westend, von 1926 an bis 1930 führte ihn das Frankfurter Adressbuch unter der Bettinastraße 41. Anschließend zogen die Levis ein paar Häuser weiter in die Bettinastraße 22. Levis berufliche Tätigkeit in Frankfurt bleibt aufgrund fehlender Quellen unklar, das Adressbuch führte ihn bis 1937 als „Kaufmann“.
Erst für die Zeit ab dem Herbst 1931 ließen sich weitere Informationen zum Leben Levis` finden, damals begann er nach eigenen Angaben, sich seinen „Jugendtraum“[12] zu erfüllen: er nahm das Studium der Kunstgeschichte, der Archäologie und der geschichtlichen Hilfswissenschaften Universität Frankfurt auf. Dazu hatte er kurz vorher am Philantropin seine Hochschulreife nachgeholt. Er lernte Griechisch an der Universität und im Selbststudium, sein Ziel war eine Doktorpromotion. Zu diesem Zweck entschied er sich, ein Verzeichnis aller Werke des Frankfurter Malers Carl Peter Burnitz (1824–1886) zu erstellen.[13]
In mühsamer Detailarbeit begann Levis, die ihm verfügbaren Werke des Künstlers zu katalogisieren. Rund 280 Gemälde erfasste er und über 100 Zeichnungen und Arbeiten auf Papier. Sicherlich wird er dazu bei zahlreichen Frankfurter Sammlerinnen und Sammlern vorgesprochen haben, um die Werke dort persönlich in Augenschein zu nehmen und in seiner Arbeit zu katalogisieren. Dazu musste er sich aus dem Frankfurter Westend kaum wegbewegen. Die Werke von Burnitz waren beliebt im Bürgertum. Sie hingen u. a. bei der Witwe des Kommerzienrates Bernhard Kahn (1857–1917), Anna geb. Massenbach (1869–1943)[14], bei Alice Koch geb. Flersheim (1866–1937), der Witwe des Hofjuwelier Louis Koch (1862–1930)[15], beim Parfümeriehersteller August Mouson (1874–1958)[16], bei der Impressionisten-Sammlerin Martha Nathan geb. Dreyfus (1874–1958)[17], bei Hedwig Ullmann geb. Nathan (1872–1945), der Witwe des ersten geschäftsführenden Direktors der Cassella AG Albert Ullmann (1862–1912)[18], sowie beim Mitinhaber des Hofjuweliers Robert Koch, Hermann Netter (1868–1952).[19]
Eine weitere wichtige Quelle für Levis wird sicherlich der Katalog der Nachlassauktion der Witwe des Malers, Anna Burnitz, gewesen sein. Diese war 1913 verstorben, im Jahr darauf war der Nachlass ihres Mannes im Frankfurter Auktionshaus F. A. C. Prestel zur Versteigerung gekommen, allein 24 Gemälde waren darunter sowie zahlreiche Zeichnungen und Aquarelle.[20]
Neben Privatpersonen und Auktionskatalogen hatte Leopold Levis auch die Möglichkeit, einige Burnitz-Gemälde in öffentlichen Sammlungen zu begutachten: in der Nationalgalerie in Berlin, im Städel, im Historischen Museum Frankfurt sowie im Landesmuseum Darmstadt.[21]
Doch wie sehr sich Levis auch Mühe gegeben hatte, er erntete deutliche Worte seines Doktorvaters Erich Albert Brinckmann (1881–1958). Dieser notierte im Mai 1936 nach dem Lesen der Dissertation: „Der Verfasser der vorliegenden Arbeit hat sich redlich bemüht […] ich verkenne nicht den Fleiß […] doch fehlt es dem Verfasser, der erst spät zur Kunstgeschichte gekommen ist, offenbar an wissenschaftlicher Darstellungsfähigkeit. Das Verzeichnis ist […] unzulänglich. Ich empfehle daher, sie zur Umarbeitung zurückzugeben.“[22]
Leopold Levis ließ sich von dieser Kritik nicht abschrecken, er ergriff die Chance, seinen Text zu überarbeiten. Vier Monate später reichte er sein Werk erneut ein und wurde zur Doktorprüfung zugelassen. Er bestand sie im Dezember 1936.
Ob Leopold Levis diesen Triumph mit seiner Familie und Freundinnen und Freunden mit einem Doktorschmaus gefeiert haben mag? Ob es ihn glücklich gemacht hat, sich seinen „Jugendtraum“ erfüllt zu haben?
Die Zeit war jedoch bereits überschattet von den Ereignissen im nationalsozialistischen Deutschland. Leopold Levis war Jude, ein Stempel in seinem Studentenausweis vermerkt „Nichtmitglied der deutschen Studentenschaft“.[23] Im Februar 1936 hatte er seine Vorfahren oder ihre Konfessionen anzugeben.[24]
Seit wann Leopold Levis die Emigration plante, konnte bisher nicht herausgefunden werden. Gesichert ist, dass er am 17. November 1937 in Hamburg die „SS Manhattan“ bestieg und acht Tage später New York erreichte. In den dazugehörigen Unterlagen gab er als Beruf „Kaufmann“ an, als Bezugsperson in den USA nannte er einen Freund namens „H. Affelden“ in Cleveland / Ohio.[25] Seine Frau Irene mit den drei Kindern im Alter von 12, 14 und 18 Jahren, nahm eine abweichende Route. Sie verließen erst neun Monate später Europa, am 6. August 1938 setzte sie mit der „MV Georgic“ ab Southampton / UK nach New York über.[26]
Eigenen Angaben zufolge war es für Leopold Levis schwierig, in den USA eine neue Existenz aufzubauen.[27] Erst arbeitete er eine Zeitlang für das Cleveland Museum of Art, anschließend siedelte er über nach New York, wo er eine Tätigkeit als Journalist für die damals größte deutschsprachige Zeitung in den USA, die „New Yorker Staatszeitung“, annahm. Bis ins hohe Alter war er dort als Autor und Berichterstatter tätig.
Obwohl er Fuß fassen konnte und New York bis zum Ende seines Lebens sein Hauptwohnsitz bleiben sollte, vermisste er seine alte Heimat Karlsruhe. Er fuhr regelmäßig zurück, nahm Anteil am Wiederaufbau der zerstörten Stadt. „Es war eine sehr schwere Zeit für uns, bis wir in den Staaten richtig Fuß fassen konnten. Und immer ist uns das Heimweh geblieben nach dem Land und der Stadt, in der wir geboren wurden. […] Und wenn ich heute so durch die Straßen von Karlsruhe gehe, komme ich mir vor wie ein Gespenst. Niemanden kennend, von niemandem erkannt gehe ich wie ein Fremder durch meine alte Heimat.“[28]
Leopold Levis verstarb 1970 in New York im Alter von 86 Jahren.
[1] Goethe Universität Frankfurt am Main, UAF Abt. 136, Nr. 637, Bll. 9-10.
[2] Henriette Bertha Levis heiratete 1912 den Breslauer Mediziner Dr. Paul Karl Oppler. Karlsruhe, Deutschland, Heiratsregister, 1870-1921, 3_B_A_II_78. Generallandesarchiv Karlsruhe, Landesamt für die Wiedergutmachung, 480 Nr. 31486.
[3] Sterbeindex der Sozialversicherung des USA, Nr.: 074-20-4575, abgerufen über die Online-Datenbank Ancestry.com [zuletzt abgerufen 2.8.2021]
[4] UAF Abt. 136, Nr. 637, Bll. 9-10.
[5] UAF Abt. 136, Nr. 637, Bll. 9-10.
[6] Stadtarchiv Karlsruhe 3/B Standesbücher A/II/91, Eheschließung im Heiratsregister des Standesamtes Nr. 248/1917. https://de.findagrave.com/memorial/219748247/irene-levis [zuletzt abgerufen 2.8.2021].
[7] Stadtarchiv Karlsruhe 3/B Standesbücher A/II/91, Eheschließung im Heiratsregister des Standesamtes Nr. 248/1917. UAF Abt. 604, Nr. 5358. Irene Levis reichte später an der Frankfurter Universität die Dissertation „Über die Einwirkung von o-Chlorbenzaldehyd auf chlorsubtituierte Amine auf Fluoren- und Anthrachinonamine“ ein, UAF Abt. 146, Nr. 31.
[8] U. a. Adressbuch Berlin 1922, Droysenstraße 16, Berlin-Charlottenburg.
[9] Wechselsensal oder Wechselmakler/Wechselagent. Vermittler von Wechselgeschäften an der Börse. ISG Frankfurt am Main Best. STA 11 / 147, Blatt 205. ISG Frankfurt am Main Best. STA 12 / 506, S. 312.
[10] Die Eltern von Irene Levis waren der Kaufmann Carl Becker und Franziska geb. Hess, die 1893 in Frankfurt am Main geheiratet hatten. ISG Frankfurt am Main Best. STA 11 / 199, Blatt 335. Heike Drummer/Jutta Zwilling, Verzweifelter Freitod: Die Dramaturgin Franziska Becker (1874-1942): https://www.frankfurt1933-1945.de/nc/beitraege/show/1/thematik/gedenken-an-den-staedtischen-buehnen/artikel/verzweifelter-freitod-die-dramaturgin-franziska-becker-1874-1942/ (zuletzt abgerufen 06.11.2021). Am 29.01.1942 wurde Franziska Becker, die den Beinamen Sara tragen musste, tot in ihrer Wohnung im Kettenhofweg 114 aufgefunden. ISG Frankfurt am Main Best. STA 12 / 886, Nr. 237/I.
[11] Adolph Hess war verheiratet mit Emma geb. Hamburger. ISG Frankfurt am Main Best. STA 10 / 61, Blatt 469.
[12] Uniarchiv Akte UAF, Abt. 136, Nr. 637, Blatt 9-10.
[13] Leopold Levis, Werkverzeichnis Peter Burnitz, Frankfurt am Main 1937.
[14] Leopold Levis, Werkverzeichnis Peter Burnitz, Frankfurt am Main 1937, Kat. Nr. 109, 186. Westendstraße 71.
[15] Ebda., Kat. Nr. 181.Kettenhofweg 77
[16] Ebda., Kat. Nr. 34. Freiherr-vom-Stein-Straße 25.
[17] Ebda., Kat. Nr. 72. Mendelssohnstraße 68.
[18] Ebda., Kat. Nr. 80, 191, 193. Guiollettstraße 34.
[19] Ebda., Kat. Nr. 112. Myliusstraße 31.
[20] Auktionskatalog F. A. C. Prestel, Kunstwerke aus dem Nachlass der Frau Anna Burnitz Ww. des Malers Dr. Peter Burnitz: vorwiegend Bilder, Studien und Zeichnungen von Peter Burnitz; ferner Einzelwerke von Hans Thoma, Victor Müller, Adolf Lier, Schönleber, Defregger, Lindenschmit, Schleich, Peter Becker u.a., Frankfurt am Main 09.03.1914.
[21] Leopold Levis, Werkverzeichnis Peter Burnitz, Frankfurt am Main 1937, Kat. Nr. 81. (Nationalgalerie Berlin), Kat. Nr. 82, 108, 164, 170, 196 (Städel Museum), Kat. Nr. 38 (Historisches Museum Frankfurt am Main), Kat. Nr. 169 (Landesmuseum Darmstadt).
[22] Goethe Universität Frankfurt, UAF 136 Nr. 637, Blatt 6.
[23] UAF 136 Nr. 637, Blatt 22.
[24] Ebd.
[25] Online-Datenbank der The Statue of Liberty – Ellis Island Foundation, Passenger ID 9011966615661. https://heritage.statueofliberty.org/ [zuletzt abgerufen 2.8.2021]
[26] Online-Datenbank der The Statue of Liberty – Ellis Island Foundation, Passenger ID 901761435179. https://heritage.statueofliberty.org/ [zuletzt abgerufen 2.8.2021]
[27] „Badische Begegnung“, in Badische Neue Nachrichten, 24.8.1960. Ich danke herzlich Angelika Herkert, Stadt Karlsruhe, Kulturamt, Stadtarchiv & Historische Museen.
[28] Ebd.