2018 gab es einen handfesten Skandal an der Universität Frankfurt. Der damalige Leiter der Forschungsstelle NS-Pädagogik, Benjamin Ortmeyer, hatte auf der Tafel für Stifterinnen und Stifter der Universität Frankfurt im Präsidium der Hochschule den Namen eines glühenden Nationalsozialisten entdeckt: Albrecht Schmidt. Ortmeyer beschwerte sich beim Präsidium über die Ehrung und schickte Kopien seines Schreibens an sämtliche leitenden Gremien der Universität, an die Stadt Frankfurt, den ASta, das Fritz Bauer Institut, die jüdische Gemeinde, den Verband der Sinti und Roma in Hessen sowie den Förderverein der Hochschule.[1] Auch die Presse berichtete.[2] Das Präsidium reagierte, indem es die Tafel abnehmen ließ und eine Untersuchung zu den dort genannten Personen ankündigte.[3]
Doch wer war jener Mann, dessen Name für so viel Aufsehen gesorgt hatte? Albrecht Schmidt war 1864 in Gravenbrück geboren worden. Ab 1883 hatte er in Darmstadt, Heidelberg und Straßburg Chemie, Physik und Mineralogie studiert. Es folgte eine steile Karriere als Industrie-Chemiker zuerst bei der Schering AG und danach bei den Farbwerken Hoechst. Im Ersten Weltkrieg erarbeitete Schmidt ein Verfahren zur Herstellung künstlichen Nebels, welches von der Kriegsmarine verwendet wurde. Außerdem beschäftigte er sich mit der Entwicklung von Kampfgasen. Nach dem Zusammenschluss der Farbwerke Hoechst mit anderen führenden Chemieunternehmen 1916 zur I.G. Farben wurde er stellvertretendes und 1925 ordentliches Vorstandsmitglied des Konzerns. Nach seiner Pensionierung 1931 nahm er für kurze Zeit einen Lehrauftrag an der Universität Frankfurt wahr.[4] 1933 trat Schmidt in die NSDAP ein. 1935 wurde er zum Ehrenbürger der Universität Frankfurt ernannt.[5] Dort richtete er im selben Jahr eine Stiftung zur Unterstützung von Studierenden im Sinne des Nationalsozialismus ein.[6]
Auf Schmidts politische Überzeugung sowie auf seine Rolle als Chemiker und Publizist hat Ortmeyer zusammen mit dem ASta der Universität eindringlich hingewiesen.[7] Doch Schmidt war darüber hinaus in weiteren Netzwerken tätig, die bisher wenig bekannt sind.[8] Da diese ihm halfen, sich politisch mit führenden Vertretern des „Dritten Reiches“ zu vernetzen, sollen sie hier erstmals kurz dargelegt werden.[9] Schmidt begeisterte sich für die Erforschung der Externsteine, einer auffälligen Gesteinsformation im Landkreis Lippe. Die Felsen wurden durch Laienforscher und Esoteriker bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts als „germanisches Heiligtum“ gedeutet. In diesem Sinne erfolgte nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten der Ausbau des Areals zum „Heiligtum der Ahnen“. Auch die urgeschichtliche Erforschung der Steine im nationalsozialistischen Sinne wurde forciert.[10] Für Schmidt war dies eine wichtige Angelegenheit. Sie bereitete dem pensionierten Chemiker zwischenzeitlich sogar schlaflose Nächte. Dies blieb dem Verein „Ahnenerbe“, der sich unter der Regie der SS um die Erforschung der Steine bemühte, nicht verborgen. Ein Brief, den Schmidt an den Laienforscher Wilhelm Teudt adressiert hatte, landete dort als Abschrift:
„Keine ,Maria‘: Armband! (Freia?) Kein Apostel, kein Christus: Paldur wird begraben! Ob nordischer Mythos ähnlich wie Osirisgrab und Begräbnis in Abydos? In Abydos Nationalheiligtum. Was sagt Island-Ueberlieferung vor Edda? Es ist unmöglich, dass der tieffühlende Germane diesen Mythos nicht gehabt haben sollte. (tiefes Naturerkennen: Deutschland das schönste Land der Erde, für den, der hinter alle Kulissen gesehen hat, Deutsche ,Gemüt‘) Die Apostel sind keine Apostel, ob germanischen Priester!??“
Inmitten der phantasievollen Zusammenstellung findet sich ein recht konkreter Punkt:
„Kohlenstoffschwärzung geht nie durch Atmosphärilien fort: siehe mein aegyptisches Stück, die Klageweiber, siehe römische terra nigra und etruskische Bucherokeramik, ferner mein ägypt. Eljab-Töpfe aus aëg. Vorzeit (Steinzeit). Analyse auf Kohlenstoff durch Prof. Nacken Frankfurt?“[11]
Die durchaus wirre Aufzählung wurde im Kontext der wissenschafts- und kulturpolitischen Prioritäten des „Dritten Reiches“ ernst genommen und zum Ausgangspunkt einer jahrelangen Erforschung der Steine. Schmidt kooperierte dabei mit dem Frankfurter Mineralogie-Professor Richard Nacken, der die Steine mehrmals, zusammen mit seinem Assistenten Karl Fill, besuchte und Gesteinsproben entnahm. Schmidt sprach in Frankfurt auch den Professor für physikalische Chemie an der Universität, den Nationalsozialisten Hans-Joachim Schumacher, an. Als sich herausstellte, dass dessen Apparat zur Untersuchung der Gesteinsproben nicht leistungsfähig genug war, trat Schmidt an die Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt (Degussa) heran, um die Analysen dort ausführen zu können. Das „Ahnenerbe“ war über das Engagement des Frankfurter Chemikers hoch erfreut: Auch Heinrich Himmler nahm regen Anteil an der Erforschung der Steine durch die Frankfurter Kooperation.[12]
Obwohl sich das Ahnenerbe schließlich vor allem an den Ergebnissen des Frankfurter Mineralogischen Institutes und nicht so sehr an den Einlassungen des etwas unkritischen Schmidt interessiert zeigte, konnte dieser das okkulte Projekt der Erforschung der Steine für sich verwenden: Es gelang ihm, darüber einen direkten und vertraulichen Kontakt zum Leiter des „Ahnenerbe“, Wolfram Sievers, herzustellen.[13] Darüber suchte er mit Himmler in Kontakt zu treten: 1939 wurde er schließlich im Rang eines Obersturmbannführers in dessen SS aufgenommen.[14] 1940 erhielt er gar eine Audienz bei Adolf Hitler.[15] 1944, zu seinem 80. Geburtstag, erfolgte dann die Beförderung zum SS-Brigadeführer. Sichtlich gerührt bedankte sich Schmidt dafür bei Heinrich Himmler, der ihm auch einen handschriftlichen Gratulationsbrief geschickt hatte. Der stets gut vernetzte Chemiker vergaß dabei nicht zu erwähnen, dass er solche Briefe auch von Adolf Hitler und Karl Dönitz erhalten habe.[16] Bis Kriegsende hatte sich Schmidt vollständig in das NS-System integriert. Er starb kurz nach dem Untergang des „Dritten Reichs“ am 27. Mai 1945 in Remscheid.[17]
Obschon der Name Albrecht Schmidt nach der Entfernung der Tafel nicht mehr in den Räumen der Universität auftaucht, bleibt die Figur des umtriebigen Chemikers präsent. Um seine Bedeutung, nicht zuletzt für die universitätspolitische Debatte, richtig beurteilen zu können, ist es notwendig, neben seinen Funktionen als Chemiker, Lehrbeauftragter und Publizist auch auf seine okkulten Aktivitäten hinzuweisen. Durch sie eröffnete sich Schmidt neue Kanäle: Sie beförderten, neben seiner Arbeit als Wehrchemiker, seine Vernetzung mit der obersten Führungsriege des „Dritten Reichs“ maßgeblich.
[1]„Wer war Prof. Dr. Albrecht Schmidt?“ Materialien und Dokumente: https://variaortmeyer.files.wordpress.com/2018/06/dokumentation_albrechtschmidt_goetheuni.pdf (8.4.2021)
[2]Majic, Danijel, Ehre für einen Nazi, Frankfurter Rundschau, 11.4.2018; Simon, Stefan, Wie die Uni Frankfurt von ihrer braunen Vergangenheit eingeholt wird, Vice Magazin, 7.6.2018 (https://www.vice.com/de/article/3k459w/wie-die-uni-frankfurt-von-ihrer-braunen-vergangenheit-eingeholt-wird-nazis-kz) (9.4.2021).
[3]Walburg, Jürgen, Zwei Ehrenbürger sind belastet: NS-Vergangenheit holt die Frankfurter Uni ein. In: Frankfurter Neue Presse, 29.9.2018: https://www.fnp.de/frankfurt/ns-vergangenheit-holt-frankfurter-10364346.html (8.4.2021)
[4]Entgegen der Ausführungen bei Benjamin Ortmeyer, Josef Schmid und in der „Hessischen Biografie“ war Schmidt kein Honorarprofessor der Universität Frankfurt: Schmid, Josef, Freiheit und soziale Verantwortung. Der Unternehmer Wilhelm Köhler von 1897 bis 1962, Göttingen, 2016, S. 155; https://www.lagis-hessen.de/pnd/137697813 (15.4.2021). Vielmehr hatte er 1917 durch das Unterrichtsministerium „in Rücksicht auf seine anerkennenswerten wissenschaftlichen Leistungen“ eine Titularprofessur erhalten: Urkunde, Professor Schmidt, Abschrift, 31.12.1917, UAF Abt. 144, Nr. 247, Bl. 31. Seine Bemühungen, nach seiner Pensionierung zum Honorarprofessor der Universität Frankfurt ernannt zu werden, auch um mit Kollegen der I.G. Farben wie Carl Lautenschläger oder Erwin Selck gleichzuziehen, scheiterten: Schreiben Schmidt (wohl an Julius von Braun – siehe Antwort Hugo Dieterle in derselben Akte), 27.1.1932, Abt. 144, Nr. 247, Bll. 21-23. Aus dem Ministerium hieß es: „Dem Antrag der Naturwissenschaftlichen Fakultät auf Ernennung des Professor Dr. Schmidt zum Honorarprofessor vermag ich zur Zeit nicht zu entsprechen.“: Achelis (Preuß. Ministerium f. Wiss., Kunst u. Volksbildung) an Naturwiss. Fakultät, 24.5.1933, UAF Abt. 144, Nr. 247, Bl. 10. Als die Fakultät wenig später durch das Ministerium um erneute Einreichung des Gesuches für Schmidt gebeten wurde, stellte diese fest, dass sie für einen neuen Antrag keinen Anlass sehe, das Ministerium solle vielmehr auf das ursprüngliche Gesuch zurückkommen: Achelis (Preuß. Ministerium f. Wiss., Kunst u. Volksbildung) an Rektor, 2.8.1933, UAF Abt. 4, Nr. 1667, Bl. 6, sowie: Schwarz (Dekan der Naturwiss. Fakultät) an Rektor, 28.11.1933, UAF Abt. 4, Nr. 1667, Bl. 6. Danach verlief die Angelegenheit offenbar im Sande. Schmidt legte seinen Lehrauftrag 1935 nieder: Schmidt an Kuratorium, Rektorat, Naturwiss. Dekanat, 27.1.1935, UAF Abt. 4, Nr. 1667, Bl. 9.
[5]Lindner, Stephan H., Hoechst. Ein I.G. Farben Werk im Dritten Reich, München, 2005, S. 42; Bode, Herbert Karl Wilhelm, „Schmidt, Albrecht“. In: Neue Deutsche Biographie 23 (2007), S. 167-169, Online-Version: https://www.deutsche-biographie.de/pnd137697813.html (8.4.2021).
[6]Schmidt stiftete insgesamt 5.000 RM. Das Geld wurde durch das Kuratorium der Universität verwaltet und hauptsächlich an einzelne Studierende ausgezahlt. Daneben wurde aber auch der Unterricht im „Kameradschaftshaus“ gefördert sowie ein eigenes Konto zur Unterstützung der Fechtausbildung eingerichtet: UAF Abt. 11, Nr. 2, Bll. 127-217.
[7]„Wer war Prof. Dr. Albrecht Schmidt?“ a. a. O.
[8]Josef Schmid erwähnt diesbezügliche Zusammenhänge kurz, ohne jedoch genauer darauf einzugehen: Schmid, Freiheit, S. 155f.
[9]Eine ausführlichere Darstellung wird voraussichtlich im Jahr 2022 in meiner Dissertation zu finden sein.
[10]Siehe zur Deutung und Instrumentalisierung der Steine durch die Nationalsozialisten umfassend: Halle, Uta, „Die Externsteine sind bis auf weiteres germanisch!“ Prähistorische Archäologie im Dritten Reich, Bielefeld, 2002.
[11]Schmidt an Teudt, ohne genaues Datum, oben Vermerkt: August 1936, BArch, NS 21/2296. Hervorhebungen i. O.
[12]Siehe die Personalakten von Albrecht Schmidt und Richard Nacken im Bestand des „Ahnenerbe“: PA Schmidt BArch, NS 21/2296; PA Nacken BArch, NS 21/2056.
[13]Schmidt hieß Wolfram Sievers zusammen mit dem Germanisten und Mitarbeiter des „Ahnenerbe“ Joseph Otto Plassmann im Frühjahr 1937 in seinem Haus in Frankfurt willkommen. Die Gäste verfassten zum Abschied ein Gedicht für Schmidt und seine Ehefrau: Schmidt an Sievers, 27.3.1937, BArch, NS 21/2296.
[14]Himmler an Schmidt, o. D.; zum Datum der Aufnahme siehe: SS-Personalkanzlei an SS-Hauptamt, 14.4.1939; beides: BArch, R 9361-III/553564.
[15]Schmid, Freiheit, S. 156.
[16]Schmidt an Himmler, 11.7.1944, BArch, R 9361-III/553564.
[17]Bode, Herbert Karl Wilhelm, „Schmidt, Albrecht“. In: Neue Deutsche Biographie 23 (2007), S. 167-169, Online-Version: https://www.deutsche-biographie.de/pnd137697813.html (8.4.2021).