Wenn man an einem trüben Novembermorgen dem Nieselregen entflieht und sich im ersten Stock des Juridicums auf dem längst vergessenen Bockenheimer Campus der Universität Frankfurt wiederfindet, kann das kein Zufall sein. Erleuchtet mit dieser Erkenntnis und bereit, gegen die Monster anzukämpfen, die dieses menschenleere Gebäude längst zu ihrem gemacht hatten, trat ich meinen ersten Dienst als studentische Hilfskraft im Frankfurter Universitätsarchiv an. Die wahre Bedeutung dieses Umstands begriff ich erst, als es schon zu spät war. Denn als Germanistikstudentin war ich so gar nicht vertraut mit all den Aufgaben eines Universitätsarchivs und malte mir die wildesten Dinge aus.
Noch in der Nacht vor meinem ersten Schritt über die magische Türschwelle träumte ich von verborgenen Schätzen, die ich einst in staubigen Magazinen entdecken würde und von hochgesicherten, streng geheimen Archivalien über berühmt-berüchtigte Persönlichkeiten. Dazu gesellten sich in meiner Phantasie nerdige Historiker, die kaum mehr die Welt um sich herum wahrzunehmen schienen und mich meinem Schicksal überlassen würden. Ich wurde eines Besseren belehrt – gewissermaßen. Kein Schatz, wie ich ihn mir erträumt hatte. Stattdessen schmiss man mich sogleich ins kalte Wasser. Und so schwappte eine Welle nach der anderen über mich und Massen, die sich „Studentenakten“, „Inskriptionsbuch“ und „Matrikelbuch“ nannten, versuchten mich niederzureißen. Doch es dauerte nicht lange bis ich merkte, dass ich gerade selbst dabei war, einen großen Schatz zu entwickeln und genau dies die Arbeit eines Archivs ausmacht. Ich begann zu verstehen. Heute bin ich immer noch keine gute Schwimmerin, jedoch haben sich die Bedeutung und der Wert eines Schatzes für mich gewandelt. Das Matrikelprojekt erwies sich schnell als Herzensangelegenheit. Einige Ergebnisse des über rund fünf Jahre andauernden Schaffens an diesem Projekt möchten wir Ihnen in einer kleinen Serie auf unserem Blog vorstellen.
Über das Projekt:
Anhand unterschiedlicher Archivalien und Quellen aus dem Uniarchiv entstand eine mittlerweile abgeschlossene und auswertbare/ausgewertete Datenbank mit Informationen über Studierende aus den fünf Fakultäten der im Wintersemester 1914/15 offiziell eröffneten Frankfurter Universität. Aus der Rechtswissenschaftlichen, der Medizinischen und der Philosophischen, der Naturwissenschaftlichen sowie der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät entwickelten wir bis zum Zwischensemester 1919, welches wegen der hohen Anzahl an Kriegsrückkehrern notwendig wurde, eine Sammlung, die spannende und gleichermaßen aufschlussreiche Hinweise lieferte. In Form verschiedener Statistiken werteten wir diese aus. Es gelang uns so, verwertbare Angaben über die Anzahl der Studierenden, die Geschlechterverhältnisse, die Studiendauer sowie Religionszugehörigkeiten und soziale Herkunft zu treffen. Ebenso bietet unsere Auswertung Einblick in gesellschaftliche Hintergründe der Studierenden und befasst sich mit Gefallenen und Teilnehmern des Ersten Weltkriegs. Mithilfe anderer Datenbanken wie z. Bsp. Yad Vashem ermittelten wir unter den damaligen Zugehörigen der Frankfurter Universität auch spätere Holocaustopfer.